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Salzgitter

Wandermusikanten (Klesmer)

Die Salzgitterschen Wandermusikanten, die Klesmer, waren im 19. Jahrhundert nahezu in der ganzen Welt bekannt. Sie spielten an Fürstenhöfen und in Herrscherhäusern ebenso wie in Gasthöfen, auf der Straße oder an den Lagerfeuern der Goldgräber in Amerika und Australien.

Die Harfenkapelle Miehe in New York 1872

Bereits vor 1800 gab es einige Musikanten in Salzgitter-Bad - nach der napoleonischen Zeit begann die Zahl sprunghaft anzusteigen. Das "Klesmern" bot in Zeiten wirtschaftlicher Not einer wachsenden Zahl unvermögender Häuslinge, Tagelöhner und kleiner Handwerker eine Verdienstmöglichkeit.

Die ersten Musikanten schlossen sich zu Harfenkapellen zusammen. Die kleinste Besetzung war Harfe und Geige, manchmal kam eine Flöte oder Gesang dazu. Daneben bildeten sich bald Blaskapellen, anfangs Quartette, nach 1820 auch größere Unterhaltungskapellen. Das Repertoire war abhängig vom Können und Ausbildungsstand der Musiker und reichte von Heimat- und Volksliedern bei den kleineren Straßenkapellen bis hin zu Potpourris und Ouvertüren bei den großen Chören.

Die ersten Salzgitterschen Musikanten der Jahre 1790 bis 1812 bereisten lediglich die engere Heimat oder den nordwestdeutschen Raum. Diese Reisen bedurften keiner besonderen Finanzierung. Schon im nächsten Ort konnte "geklesmert" werden. Auch Dänemark, Norwegen und Schweden wurden noch zu Fuß oder mit dem Planwagen erreicht. Die Kapelle Dammeyer war die erste, die 1813 nach Russland zog. Viele andere Kapellen folgten ihnen. Einige spielten am Zarenhof und den Höfen anderer Fürsten. Erst das Musikverbot nach der Ermordung des Zaren 1881 beendete die Konzerttätigkeit der Salzgitterschen Chöre in Russland.

Die Lehrlingskapelle Sonnemann in Rußland 1872

Das erste Überseeland, das die Salzgitterschen Musikanten seit 1812 bereisten, war Mexiko. Meist war die Ostküste das Ziel, doch es gab Kapellen, die die gefährliche Schiffspassage um Kap Horn nicht scheuten, um im Westen Südamerikas aufzutreten. Aber auch Nordamerika und Australien gehörten schon früh zu den Reisezielen. Selbst China, Japan, Indien, Arabien und Südafrika wurden bereist. Diese Reiseziele in Übersee mussten sorgfältig geplant und vorfinanziert werden. Salzgitters Kaufleute und vor allem der Bankier Sievers statteten die Musikanten mit Kleidung und dem nötigen Reisegeld aus. Sobald Überschüsse erspielt worden waren, schickte man größere Summen nach Salzgitter, um die Schulden abzuzahlen und die Daheimgebliebenen zu unterstützen.

Viele der Salzgitterschen Musikanten hatten eine eigene Sprache, die sogenannte Klesmersprache. Ausdrücke aus dem Rotwelschen und dem Plattdeutschen mischten sich mit fremdsprachlichen Elementen aus den bereisten Ländern. Sie war keine Vollsprache, sondern bezog sich in erster Linie auf Musik, Reisen, Gewerbeaufsicht, Verdienst, Essen und Trinken. Bis 1890 war diese Sprache in Salzgitter durchaus lebendig, doch mit dem Verschwinden der Salzgitterschen Klesmer geriet auch die Sprache in Vergessenheit. Durch das Aufkommen "mechanischer" Musik und die Verdienstmöglichkeiten in der Industrie war die Anzahl der Klesmer bis spätestens nach dem Ersten Weltkrieg bedeutungslos geworden.

Zu Ehren der Salzgitterschen Wandermusiker findet heutzutage auf dem Klesmerplatz in Salzgitter-Bad das jährliche Klesmerfestival mit Ensembles aus aller Welt statt.

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Bildnachweise

  • Stadt Salzgitter / A. Kugellis
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